The Primordial Cities Initiative



Die Stadt der Zukunft passt sich dem Anstieg des Meeresspiegels an, indem sie frühzeitliche Bakterien nachahmt


In Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP entwickelt der Experimentalphilosoph Jonathon Keats derzeit ein revolutionäres Stadtplanungsschema, das die Konsequenzen des Klimawandels städtebaulich neu denkt. Ab dem 12. Dezember präsentiert das STATE Studio Berlin mit der „Primordiale Cities Initiative” vorläufige Stadtentwürfe ultra-resilienter, von prähistorischen Stromatolithen inspirierter Architektur. Eine Ausstellung im Rahmen des Fraunhofer Residency-Programms ARTIST IN LAB.


Berlin, 21 November 2019

Photo Credit: David Holt (skyscraper) and Didier Descouens (stromatolite), Jonathon Keats (illustration)

Photo Credit: David Holt (skyscraper) and Didier Descouens (stromatolite), Jonathon Keats (illustration)

Groß angelegte Migrationsströme, verwaiste Küstenstädte: Bereits heute prognostizieren KlimawissenschaftlerInnen, wie Menschen versuchen werden, den Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs zu entgehen, indem sie von der Peripherie ins Landesinnere ziehen. 

Vor dem Hintergrund eben jener Szenarien entwickelt ein Team aus Ingenieuren unter Leitung des Experimentalphilosophen Jonathon Keats einen radikal neuen Ansatz für die Konzeption städtischer Infrastruktur, der auf den frühesten Lebensformen unserer Erde basiert. 

Sogenannte „Stromatolithen-Städte“ könnten nach Keats die langfristige Bewohnung gefährdeter Metropolen wie Shanghai und Manhattan sicherstellen und gleichzeitig einem der Hauptursachen für Treibhausgasemissionen im Baubereich entgegenwirken: dem weit verbreiteten Einsatz energieintensiver Klimaanlagen zur Minderung von Hitzestress.

„Stromatolithen sind die fossilen Überreste von mikrobiellen Gemeinschaften, die vor Milliarden von Jahren auf unserem Planeten gediehen sind“, so Keats. „Viele Arten von Organismen lebten symbiotisch zusammen. In gewisser Weise kann man sie als die ersten Städte betrachten.“ Das Besondere an Stromatolithen: Sie wuchsen in Schichten und kombinierten organische Substanz mit Sediment. Die unteren Schichten ihrer Struktur wurden schrittweise „geopfert“, um Teil der Grundlage zu werden, währenddessen neue Ebenen der lebenden Materie hinzugefügt wurden.

In den konzeptionell an eben jene Wachstumsprozesse angelehnten Stadtentwürfen werden Wolkenkratzer in gleicher Weise errichtet. „Wir entwerfen neue Gebäudestrukturen, die einen kontinuierlichen Schichtaufbau ermöglichen", erklärt Keats, dessen neuartige Entwürfe – darunter Renderings und Modelle – ab dem 12. Dezember im Berliner STATE Studio zu sehen sein werden. Mit steigendem Meeresspiegel können neue Stockwerke errichtet werden, welche die Häuser kontinuierlich erhöhen. Die Bewohner ziehen in höhere Stockwerke und leben über den Gezeiten.

Im vergangenen Jahr wurden die Vorteile dieser städtebaulichen Strategie von Forschern des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP in Deutschland, Keats Partner in der interdisziplinären „Primordial Cities Initiative“, untersucht und bestätigt. „Wir haben Computersimulationen durchgeführt, um die thermischen Auswirkungen von schweren Überschwemmungen in den Bezirken Shanghai, Manhattan und Hamburg zu analysieren", erklärt Professor Gunnar Grün, stellvertretender Direktor des Fraunhofer IBP. „In jedem Fall haben wir Klimamodelle angewandt, die den Anstieg des Meeresspiegels und saisonale Temperaturen in den Jahren 2100 und 2300 prognostizierten. Obwohl sich die drei Städte in vielerlei Hinsicht unterscheiden, wurden alle durch die thermische Trägheit und das verdunstende Kühlpotenzial des Wassers deutlich milder – und für den Menschen gastfreundlicher." 

Weitere Studien wurden im künstlichen Sonnenlichtlabor des Fraunhofer IBP durchgeführt, wo Gebäudemodelle in Wasser getaucht und auf Effekte wie Verdunstungskühlung getestet wurden. „Aus diesen Tests konnten wir erste Erkenntnisse über eine Reihe möglicher Baustoffe gewinnen", so Grün. „Wir konnten positive Effekte sowohl für hochdotierten Beton und behandeltes Holz als auch für begrünte Dächer und Fassaden feststellen."

Computermodellierung und Erkenntnisse aus dem Labor haben Keats' spekulative Entwürfe für Stromatolithen-Stadtarchitektur beeinflusst. In Zusammenarbeit mit IBP-Ingenieuren und in Absprache mit Dr. Richard Hofmann (Museum für Naturkunde Berlin) schuf er sowohl Beton- als auch Holzarchetypen. „Die Holzarten sind für mich besonders interessant, weil die Baumaterialien auf dem Dach angebaut werden können, wobei sie lose parallel dazu verlaufen, wie sich Stromatolithen durch den Anbau anpassen", sagt Keats. „Diese Wolkenkratzer sind eine Mischung aus dem Empire State Building und Abraham Lincolns Blockhaus."

Im Rahmen der Ausstellung im STATE Studio werden Keats innovative Gebäudeentwürfe zusammen mit den Ergebnissen der Experimente des Fraunhofer IBP und einem von Keats gemeinsam mit den Ingenieuren des Fraunhofer IBP entwickelten Energiemanagementplan vorgestellt. „Dieser Plan ist für die Ausstellung besonders zentral, denn er verspricht, Stromatolith-Städte klimaneutral zu gestalten, indem er den Bedarf an Klimatisierung reduziert und die Gezeitenenergie für andere Anforderungen nutzt", kommentiert Dr. Christian Rauch, Direktor von STATE Studio und Berater des Projekts. 

Die Primordial Cities Initiative, die bereits in Shanghai begeisterte Reaktionen von Stadtplaner*innen erhalten hat, wird nach dem STATE Studio Showcase weiterentwickelt und an weitere städtische Umgebungen angepasst. Sie dient auch als Prototyp für einen neuartigen Designprozess namens Paleobiomimikry, welcher sich von anderen Lebensformen inspirieren lässt und auf Parallelen zwischen Vergangenheit und Zukunft aufbaut.

Doch können derartige Systeme in der Größenordnung von Shanghai oder Manhattan implementiert werden? Jonathon Keats ist skeptisch: „Über Symptomregulation hinausgehend müssen wir vor allem die Ursachen der Klimakrise angehen. Paläobiomimikry kann ein Katalysator für neue Ideen sein, Stromatolithenstädte können als Modelle dienen, um uns unseren dringenden Handlungsbedarf verdeutlichen. Indem wir die aktuellen Bedingungen in der tiefen Vergangenheit finden, können wir vielleicht endlich lernen, vorausschauend zu handeln.“

Programm

18:30 Vernissage

19:00  Grußwort Dorothee Höfter (Hauptabteilung Kommunikation. Fraunhofer-Gesellschaft) und Christian Rauch (STATE Studio)
Gesprächsrunde „Wissenschaft trifft Kunst” mit Jonathon Keats (Artist-in-Lab) sowie dem Wissenschaftler Prof. Dr. Gunnar Grün (Residency-Institut Fraunhofer IBP) und Dr. Richard Hofmann (Museum für Naturkunde Berlin)
Ab 20:00 Empfang, Flying Buffet und Musik

Öffnungszeiten Ausstellung 

12 Dezember - 20 Dezember & 7 Januar - 29 Februar, 

Die - Fr, 12 - 19 Uhr, Sa 12 - 17 Uhr 

Presse & Kommunikation

Jonathon Keats 
jonathonkeats@gmail.com


Fraunhofer-Gesellschaft e.V., München
Ansprechpartner: Dorothée Höfter 
dorothee.hoefter@zv.fraunhofer.de
Hauptabteilung Kommunikation 
Wissenschaft und Kunst im Dialog
www.fraunhofer.de/events

Fraunhofer Institute for Building Physics IBP
Contact person: Silke Kern
Head of Corporate Communications
presse@ibp.fraunhofer.de

STATE Studio
Johanna Teresa Wallenborn
jw@state-studio.com


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