BRAINPALACE

 

BRAINPALACE

Auf der Suche nach den Möglichkeiten empathischer Gruppenerlebnisse im Ausstellungskontext. Eine künstlerisch-wissenschaftliche Intervention unter Nutzung von Neurofeedback.

 
 

Die fortschreitende Digitalisierung, die Beschleunigung aller Lebensbereiche und vor allem die Pandemie stellt eine große Herausforderung für Einzelne und die Gesellschaft dar. 

Als Grundpfeiler funktionierender Gemeinschaften kommt der Empathie eine große Bedeutung zu. Es sind Künstler*innen, die es schaffen, Emotionen zu katalysieren und zu manifestieren, und es sind Wissenschaftler*innen, die gelernt haben, unsere Gedanken und Gefühle, unseren Verstand und unser Gehirn zu analysieren und zu verstehen. Das künstlerische Forschungsprojekt BRAINPALACE behandelt daher die Frage:

Können neurowissenschaftliche Forschung, Design und Kunst genutzt werden, um Empathie und Zusammengehörigkeit zu fördern?

Das künstlerische Forschungsprojekt BRAINPALACE möchte genau das herausfinden und erforscht seit Mai letzten Jahres, welches Potential in der Verbindung von Kunst und Neurofeedback steckt. Ziel ist es, eine Licht- und Klanginstallation im Ausstellungslabor STATE Studio zu entwickeln, die das gemeinsame Empfinden in einer Gruppe erlebbar machen soll. Die Teilnehmenden erhalten durch die Kunstinstallation eine Rückmeldung über ihre Gehirnaktivität und können diese somit aktiv beeinflussen. Das Team aus Forschenden und Kunstschaffenden möchte dabei herausfinden, welche Impulse das soziale Miteinander fördern kann - eine Aufgabe, die kreative und unkonventionelle Ideen erfordert.

Die Medienkünstler Christian Losert und Daniel Dalfovo (Atelier E) haben in der ersten Phase des Projekts anfang des Jahres 2020 die Interaktion der Besucher*innen mit einem Prototyp der Installation gemessen. Dafür wurden deren EEG-Signale auf Synchronizitäten untersucht und die Wechselwirkung zwischen Kunstwerk, Raum und Teilnehmer*innen klanglich und visuell generiert. Die Installation wurde von der Münchner Künstlerin Tatjana Busch konzipiert, die sich der ästhetischen Wahrnehmung von Mitgefühl und Miteinander widmet. Im Sinne einer audiovisuellen Dramaturgie macht die Installation Licht, Sound, Farbe, Form und Bewegung durch das Neurofeedback innerhalb einer Gruppe erlebbar.

Das Projekt ist eine Zusammenarbeit der Münchner Installationskünstlerin Tatjana Busch, Christian Losert und Daniel Dalfovo, des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM sowie des Berliner Ausstellungslabors STATE Studio im Rahmen der Ausstellungsreihe »Wissenschaft und Kunst im Dialog« der Fraunhofer-Gesellschaft.

Credit: Tatjana Busch / STATE Studio

Credit: Tatjana Busch / STATE Studio

Credit: Atelier E / STATE Studio

Credit: Atelier E / STATE Studio

Credit: Tatjana Busch / STATE Studio

Credit: Tatjana Busch / STATE Studio

Credit: Tatjana Busch / STATE Studio

Credit: Tatjana Busch / STATE Studio

 

Die Installation

Die Installation BRAINPALACE II eröffnet einen synästhetischen Raum, der unsere Wahrnehmung auf mehreren Sinnesebenen reizt. Eine frei zu schweben scheinende Plastik der Künstlerin Tatjana Busch im Zentrum eines hohen Luftraumes bildet den Ausgangspunkt der Licht- und Farbkompositionen, die die Umgebung in einen atmosphärischen und immersiven Ort verwandelt. Das Medienkünstlerduo Christian Losert und Daniel Dalfovo (ATELIER E) entwickelten hierfür einen audiovisuellen Resonanzraum, der die Hirnaktivität der Besucher mit dynamischen Ton- und Lichtkulissen beantwortet. 

Die mehrteilige Skulptur der Münchener Künstlerin fächert sich um eine imaginäre Achse aus gebogenen und gefalteten Acrylglasplatten empor, teilweise über- und ineinander liegend und schwebend. Die obere Hälfte der Plastik rotiert in einem sanften Tempo über ihrer auf einer Spiegelfläche positionierten Basis. Damit gibt die Architektur der Installation den Betrachter*innen Blickachsen frei, die sich nicht nur in Richtung der gegenüber positionierten Person eröffnen, sondern auch auf der virtuell verspiegelten Ebene. Die dadurch entstehende dreidimensionale Wirkung entfaltet faszinierende Momentaufnahmen in den Bewegungen der Plastik, die sich wieder und wieder verflüchtigen. 

Jedes Objekt weist eine eigene Farbe auf. So variiert die Farbgebung von intensiven  Orange- und Rottönen zu gelb und grün silber und transparent. Diese Eigenschaft verleiht dem Werk, je nach Perspektive, unterschiedliche Reflexfarben, die sich durch wechselhafte Beleuchtungsverhältnisse ablösen. Im Prozess der Sequenzen ist ein Verlauf von opaquer dichter Farbigkeit bis zu roter Transparenz erkennbar. Die Materialität der Objekte scheint sich mit der Farbveränderung aufzulösen. Der durch die Künstlerin eingesetzte Komplementärkontrast steigert die Farben rot und grün zu ihrer höchsten Leuchtkraft. Das Wechselspiel der Farben wird durch Spotlights intensiviert, die die Plastik in unterschiedlichen Farbtönen erleuchten. Dadurch changiert nicht nur die Erscheinung der Skulptur, sondern auch der gesamte Raum. Das Werk reflektiert unendliche neue Formen und Farben auf die umliegenden Flächen, die die Betrachter*innen in eine neue Welt eintauchen lassen.  Der  ursprüngliche Raum aus Sichtbeton verwandelt sich in eine nahezu hypnotisierende Landschaft, die die eigene Präsenz der Betrachter*innen erfahrbar macht und sie Teil der Installation werden lässt. 

An dieser Stelle knüpft das Werk von Christian Losert und Daniel Dalfovo an. Die Licht- und Soundkünstler von ATELIER E inszenieren das Kunstwerk auf audiovisueller Ebene. Hierfür programmierten sie eine Schnittstelle zwischen der multimedialen Installation und den neu entwickelten Algorithmen der EEG-Datenanalyse des Fraunhofer IAO. In Kollaboration mit dem Institut entwickelte das Studio eine gestalterische Sprache, die die analysierte Hirnaktivität der Besucher*innen szenografisch übersetzt. Basierend auf diesen Berechnungen und Interpretationen, die für die Empathieforschung kennzeichnend sind, lässt Daniel Dalfovo das Werk mittels variierender Farbspektren und Intensitäten reagieren. Christian Loserts sphärische, kontemplative Mehrkanalkomposition zeichnet hierzu einen emotionalen Pfad auf dem sich die Besucher*innen gemeinsam während des Experiments begeben und orientieren können.

Das Gesamtwerk ist eine Symbiose künstlerischer Ausdrücke, ästhetischem Design und implementierter Forschung und vereint drei Ansätze verschiedener Disziplinen. Die Übergänge gestalten sich für die Rezipierenden in der Erscheinung der Installation fließend, denn durch die Balance zwischen der intuitiven und dynamischen Formgebung, der audiovisuellen Gestaltung und der damit einhergehenden Technik, die für die Messungen der wissenschaftlichen Empathieforschung relevant ist, entsteht ein Resonanzraum, der dazu einlädt in neue Sphären einzutauchen. Er erweckt Neugierde darauf, wie der rationale, kognitive Kosmos der Wissenschaft und die emotionale, intuitive Welt künstlerischer Ausdrucksformen aufeinandertreffen, sich ergänzen und ein gemeinsames Werk hervorbringen.Die äußere Erscheinung der Installation eröffnet den Assoziationsraum für die Verbindung von Kunst und Wissenschaft, denn es ist die Einführung in neue Wissensquellen, die anhand forscherischer Ansätze und Inspiration einen Zugang zu komplexen Sachverhalten und gesellschaftlich relevanten Fragestellungen verschaffen kann.

 
 

Forschung und Technologien

Die direkteste Form der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik ist das Brain-Computer-Interface (BCI). Die Forschung in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren vor allem auf die Entwicklung von Assistenzsystemen für Menschen mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen konzentriert, beispielsweise bei Schlaganfall- oder  Locked-in-Patient*innen. Die gängigste neurotechnologische Messmethode zur Erfassung der Hirnaktivität ist hier die Elektroenzephalographie (EEG). Das EEG kann sogar mobil eingesetzt werden und stellt daher eine relevante Verbesserung im Bereich der Messsensorik dar.

Zunehmend werden EEG-basierte BCIs auch im Rahmen des Neurofeedback-Trainings eingesetzt. Das Neurofeedback ist eine Therapiemethode, die es ermöglicht, die Fähigkeit des Gehirns zur Selbstregulation zu verbessern, indem Gehirnmuster gezielt in die gewünschte Richtung moduliert werden. Dies ermöglicht die Rückmeldung des eigenen Gehirnzustandes und man ist so in der Lage, seine eigene Gehirnaktivierung gezielt zu beeinflussen. Dies kann durch eine entsprechende Feedback-Modalität, meist visuell oder auditiv, belohnt und somit positiv verstärkt werden. 

Mit dieser Methode lassen sich auch völlig neue interaktive Exponate erstellen; so hat das Fraunhofer IAO zum Beispiel in einer empirischen Prototyp-Studie “MindTrain” entwickelt. MindTrain ist eine gamifizierte Neurofeedback-Trainingsumgebung, in der Nutzer*innen mit Hilfe von BCI und VR-basiertem Feedback lernen können, ihre eigene Gehirnaktivität zu steuern. Damit können sie gezielt Entspannungs- und Konzentrationszustände trainieren, um so ihr subjektives Wohlbefinden zu fördern. 

In der realen Umgebung sind menschliche Gehirne auf komplexe und variable Aufgaben spezialisiert. Die meisten neurowissenschaftlichen Studien werden jedoch in hochkontrollierten Laborumgebungen mit reduzierter Komplexität durchgeführt, was die Bandbreite des zu erforschenden Verhaltens deutlich einschränkt.

Das Projekt BRAINPALACE nutzt diese Erkenntnisse und transferiert sie in zwei Phasen in den Ausstellungskontext. In der ersten Projektphase wird die Galerie des STATE Studios als Ausstellungslabor genutzt. Anhand eines künstlerischen Prototypen werden erste Interaktionsmöglichkeiten getestet und ausgewertet. Die Besucher und Besucherinnen sind eingeladen, mit dem Kunstobjekt mental zu interagieren und mit ihren Gehirnströmen das Erscheinungsbild der Installation aktiv zu steuern. Aus diesen Besucher*inneninteraktionen ergeben sich Forschungsfragen, die in der zweiten Projektphase, im Rahmen eines Förderprojekts des Netzwerks »Wissenschaft, Kunst und Design«, von den Wissenschaftler*innen des Fraunhofer ITWM und Fraunhofer IAO aufgegriffen werden. 

Zu den Kernkompetenzen des Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) gehört die Weiterentwicklung der angewandten Mathematik als »generische Schlüsseltechnologie«. Dazu zählen mathematische Modelle zu den aus Experimenten und Beobachtungen gewonnenen Daten, die Verschmelzung von Daten, Modellen und Algorithmen in Simulationsprogrammen.

Die spielerischen Übertragungen solcher Algorithmen auf die Beobachtung individueller Wahrnehmungswirkungen von Kunstinstallationen könnten Hinweise zur Entdeckung der Emergenz unterschiedlicher Bewusstseinsstadien liefern. Dem widmet sich vor allem das NeuroLab- Das NeuroLab ist ein Teil des Forschungsbereichs Mensch-Technik-Interaktion am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Durch Erkenntnisse und Methoden der kognitiven Neurowissenschaft in Kombination mit der positiven Psychologie wird z.B erforscht, wie Emotionen in der Mensch-Technik-Interaktion entstehen, welche Prozesse und welche Gestaltungsmerkmale dafür nötig sind. Dabei kommen multimodale neurophysiologische und psychophysiologische Messverfahren zum Einsatz wie die Elektroenzephalographie (EEG) zur Messung von Aufmerksamkeit, Konzentration, kognitivem Workload und Affekt. 

Die Messung des Rohsignals des EEGs im Ausstellungslabor findet über Elektroden an der Kopfhaut statt, dazu werden UNICORN-Headsets verwendet. Das Rohsignal wird dann im Gerät in die einzelnen Frequenzbänder zerlegt. Ermittelt wird, wie wir anhand der Identifikation emergenter Muster in den Visualisierungen erste Folgerungen zur Erkennung unterschiedlicher Bewusstseinsebenen tätigen können, um die aus diesen gewonnen Datenströmen auch in anderen Kontexten nachhaltig verwenden zu können. 

Neueste technologische Entwicklungen machen es für die Forschung heute erstmals möglich, positive Effekte und Einflussfaktoren von Team-Interaktionen durch das sogenannte “Hyperscanning” zu objektivieren. Mit dieser Methode lässt sich beobachten, was in den Gehirnen von Menschen passiert, die miteinander interagieren.

Hier fallen vor allem die Synchronisationseffekte der Interaktionspartner*innen auf, für deren Messung das EEG aufgrund seiner hohen zeitlichen Auflösung ideal geeignet ist.

Auf diese Weise können Phänomene der Sprachinteraktion, sowie soziale und emotionale Interaktionen zwischen den Menschen erfasst werden. Auch eine objektive Bestimmung von Kooperationsprozessen, sozialen Gruppeninteraktion und Engagement ist möglich. In der Literatur wird bereits von ersten Versuchen, implizite Formen des Gruppenfeedbacks durch EEG-Hyperscanning zu messen, berichtet. 

 

Interview Tatjana Busch

Interview Christian Losert, Atelier E

Interview Daniel Dalfovo, Atelier E

Interview Dorothée Höfter, Fraunhofer-Gesellschaft

Interview Laura Kaltwasser, Berlin School of Mind and Brain

Interview Mathias Vukelic, Fraunhofer IAO

Interview Hans Trinkaus, Fraunhofer ITWM

Interview Ravi Kanth Kosuru, Fraunhofer IAO

 

Bisherige Entwicklung und Zukunftspläne

Aus den Interaktionen der Besucher*innen in der ersten Projektphase im Jahr 2020 haben sich Forschungsfragen ergeben, die von den Wissenschaftlern des Fraunhofer aufgegriffen werden. Für die Analyse der EEG-Werte in der zweiten Phase werden nun statt MUSES (EEG-Stirnbänder) UNICORN-Headsets verwendet, die den gesamten Kopfbereich abdecken und eine höhere Auflösung durch mehr Elektroden aufweisen. Die daraus gemessenen Rohdaten sind genauer, erlauben ausführliche mathematische Berechnungen und führen zu stabileren Signalwegen. So lassen sich die Daten in ein Echtzeitsystem integrieren und die Interaktion zwischen den Proband*innen stärker und dynamischer machen.  

Daneben arbeiten die Wissenschaftler vom Fraunhofer IAO an der optimalen Gewichtung und Verbindung der einzelnen EEG-Frequenzbänder für die Deutung der Synchronisationsphasen.

Nach der dritten Projektphase von BRAINPATTERNS im Jahr 2022 ist eine große Präsentation der erzielten Projektergebnisse und eines weiterentwickelten Prototyps in Form einer Ausstellung geplant. Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung einer nachhaltigen und modularen Installation, die in diverse Kontexte eingebunden werden kann, wie zum Beispiel in Ausstellungen, öffentliche Räumen, Institutionen oder auch in geschäftliche und private Bereiche.


Hintergrund

Das Projekt »BRAINPALACE – BRAINPATTERNS Macht und Muster der Gedanken« wird in der Ausstellungsreihe »Wissenschaft und Kunst im Dialog« und dem »Netzwerk Wissenschaft, Kunst und Design« der Fraunhofer-Gesellschaft realisiert.

Das Projekt ist eine Zusammenarbeit der Münchner Installationskünstlerin Tatjana Busch, den Medienkünstlern Christian Losert und Daniel Dalfovo, Atelier E, Mathias Vukelić und Ravi Kanth Kosuru, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Hans Trinkaus und Alex Sarishvili, Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM, Laura Kaltwasser, Berlin School of Mind and Brain, Dorothée Höfter, Fraunhofer-Gesellschaft sowie des Berliner STATE Studio.
www.fraunhofer.de/events

 

Events

Medien

 

Contributors

STATE Team

 
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Fraunhofer ITWM

Die Umsetzung mathematischer Methoden und Technologie in Anwendungsprojekten und ihre Entwicklung in Forschungsprojekten sind Schwerpunkte des Fraunhofer ITWM. Integrale Bausteine sind Beratung, Umsetzung und Unterstützung bei der Anwendung von

Hochleistungsrechnertechnologie und Bereitstellung maßgeschneiderter Software-Lösungen. Das Kundenspektrum zieht sich über viele Branchen hinweg: vom Fahrzeugbereich über Maschinenbau und chemische Industrie hin zur Energiewirtschaft und dem Finanzsektor. 

Fraunhofer IAO: Mit Ideen zum Erfolg

Wie arbeiten und leben Menschen in Zukunft? Zu dieser und ähnlichen Fragen forschen Wissenschaftler*innen am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und bringen ihre Erkenntnisse ergebnisorientiert in die Anwendung. Unsere Expert*innen gestalten das Zusammenspiel von Mensch, Technik und Organisation ganzheitlich und kundenindividuell. Wir unterstützen Unternehmen und Institutionen, Potenziale neuer Technologien zu erkennen, diese gewinnbringend einzusetzen und attraktive Zukunftsmärkte zu erschließen.

Kontakt & Anfragen

Christina Hooge 
ch@state-studio.com